Der Roman eines geborenen Verbrechers

Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M…

A. G. Bianchi

Vom Äußeren auf das Innere zu schließen galt in der Wissenschaft vor über 100 Jahren als ein probates Mittel zur psychischen Analyse eines Menschen.

Dem folgte Ende des 19. Jahrhunderts auch der italienische Gelehrte und Nervenarzt Prof. Silvio Venturi, Direktor der Irrenanstalt in Girifalco (Provinz Catanzaro, Italien): Er untersuchte den Kalabresen Antonino M…, einen mehrfach verurteilten Verbrecher und Camorristen, der nach dem Mordversuch an seinem Bruder wegen Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit in die Irrenanstalt eingewiesen wird. Dort dient M… dem Nervenarzt als Studienobjekt zur Klärung der Frage, ob es die Persönlichkeit eines »geborenen Verbrechers« geben kann. Die Selbstbiographie des Antonino M… aus den Jahren seiner Gefangenschaft bildet die Grundlage für eine Charakteranalyse der Verbrechernatur, die Venturi vermittels physischer Untersuchungen zu fundieren sucht.

Mit einer Vorrede versehen und herausgegeben wurden die Aufzeichnungen der beiden Männer von Augusto Guido Bianchi, zur Zeit der Veröffentlichung Mitglied des Corriere della Sera in Mailand. Dieser erläutert darin unter anderem den Stand der Wissenschaft hinsichtlich des »verbrecherischen Individuums« und der Kriminologie und betrachtet dabei auch das schriftstellerische Vermögen des Verbrechers Antonino M…

In der vorliegenden Neuauflage des Originals von 1894 ist diesen Personen eine weitere Stimme zur Seite gestellt: Der deutsche Gelehrte und Hamburger Bürgermeister Johann Heinrich Bartels bereiste um 1785 die Gegend um Kalabrien. Verständig berichtet er in seinen »Briefen über Kalabrien und Sizilien« von Bigottismus, Brigantentum und dem Hass der Ärmsten auf ihre Herren. Die im Buch als Marginalien geführten Ausschnitte aus Bartels' Bemerkungen und Beobachtungen erlauben einen erweiterten Blick auf das Land und die Lebensumstände seiner Bewohner.

Aus dem Inhalt


M… ist ein vollendeter Typus des moralisch irren und epileptischen Schriftstellers; der Mangel an kritischem Sinn und Gerechtigkeit tritt klar hervor, und die Eitelkeit zeigt sich auf jeder Seite des Buches. Wenn er studiert hätte, würde er als Schriftsteller manchem Zeitgenossen ebenbürtig zur Seite treten. […] Deshalb scheint mir, könnten diese Memoiren auch für das Studium des Phänomens eines in der Bildung begriffenen Schriftstellers von Interesse sein.

Herausgeber A. G. Bianchi in seiner Vorrede zum »Roman eines geborenen Verbrechers«, 1893

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Er war kein Verbrecher aus Dummheit, denn er war intelligent; er war ein Verbrecher aus Instinkt, in ihm war ein Charakter der Unordnung, des Schadens, des sozialen Umsturzes personifiziert. Er ist der Typus des Verbrechers, den die Gesellschaft bösartig nennt, jener Typus, den die Lombrososche Doktrin zu leugnen drohte, und welcher der gewöhnlichen Ansicht von der Geißel entspricht, die Gott entsendet, um die sündige Gesellschaft zu strafen.

Professor Silvio Venturi, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt Girifalco, in seinem medizinischen Gutachten, Juli 1891

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»Großmütiger Herr Richter«, antwortete ich, »von dem Verbrechen, dessen man mich anklagt, weiß ich nichts. Es ist unwahr, daß ich dem S… einen Brief zur Besorgung übergeben habe; es ist eine schwarze Verleumdung und eine Sünde und Schande; ich schwöre es vor Gott und vor den Menschen. Ich könnte mich leicht vor diesem S… schützen, aber ich will von Dingen nicht reden, die eine so gebildete Zuhörerschaft entsetzen würde; ich will nur meine Ehrenhaftigkeit betonen. Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig und Sie als hervorragende Militärs und gelehrte Juristen werden einen Unschuldigen nicht wegen der niederträchtigen Verdächtigung eines Schurken verurteilen wollen, der nicht wert ist, daß er zur menschlichen Gesellschaft zählt. [...] Machen Sie, in deren Hände das Gesetz gelegt ist, daß diese mit dem Banner Italiens geweihte Halle, die das Entsetzen der Bösen und ein Hort der Gerechten ist, nicht dem Betrug, der Fälschung eines verworfenen Schurken dienstbar werde.«

Aus einer Verteidigungsrede des Antonino M…
Gerichtsgefängnis Salerno, 1878

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Man bringt täglich noch immer eine Menge Menschen ins Gefängniß, und hat deren schon eine solche Anzahl, daß man nicht mehr weiß, wo man mit ihnen hin soll; und wenn Sie fragen, was denn die Anzeichen sind, warum man diese Menschen von ihrer Arbeit und ihrer Familie fortschleppt?, so sind es keine stärkeren als die Möglichkeit, daß dieser oder jener der Dieb sein könnte, und zwischen durch sind manche, die aus Privathaß eingekerkert werden.

Johann Heinrich Bartels in seinen
»Briefen aus Kalabrien und Sizilien«, 1787

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Antonino

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Der Roman eines geborenen Verbrechers – Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M…
A. G. Bianchi

Editierte Neuauflage des Romans aus dem Jahre 1894. Erweitert um Ausschnitte der »Briefe aus Kalabrien und Sizilien« von Johann Heinrich Bartels, 1787. Illustrationen von Antonia Kühn, Hamburg.

1. Auflage 2012
304 Seiten, Hardcover (Halbleinenband mit Prägedruck), zahlreiche Illustrationen
Format 146 × 215 mm
ISBN 978-39502537-4-0
Preis: EUR 24,–

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