15 dag Extrawurst

Sigrid Eyb-Green

Kern der Publikation »15 dag Extrawurst« von Sigrid Eyb-Green ist die Sammlung der Autorin, die seit einigen Jahren am Aufbau eines Zettelkastens im Wortsinn arbeitet: Einkaufslisten, Planskizzen, Rezepte und Diagnosen, Arbeitsnotizen, Beschimpfungen und Schmähungen, unter Schulbänken gekritzelte Zwiegespräche, To-do-Listen, kurz: Notizzettel verschiedenster Art, die im öffentlichen Raum aufgelesen wurden. Die Sammlung beinhaltet mittlerweile rund 700 archivierte und katalogisierte Zettel.

Im vorliegenden Buch sind mehr als zweihundert dieser mitunter absurden, nachdenklichen, skurrilen oder auch erheiternden Fundstücke abgebildet, anhand derer Sigrid Eyb-Green in begleitenden Texten ihr Prinzip des Sammelns umreißt, eine Taxonomie des Alltags unternimmt und über die unterschiedlichen Fundorte auch demografische Rückschlüsse zulässt. Die Beschreibung des zugrunde liegenden Archivierungsprinzips zeigt dabei den Gegensatz von Sammeln und Ansammeln, das sich unter anderem in durchlaufenden Inventarnummern manifestiert.

Apropos Inventarnummer: Der Zettel mit der Inv. Nr. 1 (vorne am Buch abgebildet) kommt nicht von ungefähr, sondern wurde mit neugierigen Fingern aus einem herbstlichen Laubhaufen gepickt. Dass somit, neben dem Hietzinger Eingangstor des Schönbrunner Parks, bereits auch ein nachmaliger Buchtitel gefunden war, war nicht vorherzusehen. Was im Übrigen ein Hinweis darauf ist, dass eine spontane Handlung hie und da auch ein unvorhergesehenes Nachleben entwickeln kann – eine schöne Ungewissheit, die im alltäglichen Treiben einen wohligen Schauer verursachen mag.

Aus dem Buch

Die erstaunlichen Bilder, die sich beim Lesen der biederen Liste in Altfrauenschrift Orangen / Zitronen / Äpfel / Suppenwürze / Mehl uni / Inferno-Spray einstellen, werden allzu rasch von der Information, dass es sich bei dem »Inferno-Spray« um einen Ofen-Reinigungsschaum handelt, überschrieben: Nicht-Wissen ist mitunter kostbares Gut. Wie schön, dass bislang kein Übersetzungsprogramm klären konnte, was jenes Spidskat bedeutet, das auf einem Zettel steht, den ich in Kopenhagen aufgelesen habe. Bleibe ein oben spitz zulaufender Hut oder ein obszöner Kosename, bleibe dänische Comic-Heldin Die rasendschnelle Spionkatze und schreib mir eine Postkarte vom anderen Ufer des Konjunktivs! Denn was hat die richtige Version ohne Lesefehler schon zu bieten: 3 Kohlköpfe!

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Was Straßen, Plätze und Unterführungen vor die Füße spülen, will sorgfältig geprüft sein. Ein Regelwerk trennt hier das Beliebige vom Begehrten: Einzig handgeschriebene Zettel haben Zutritt zur Sammlung. Handschriftlich ausgefüllte Vordrucke wie Taxirechnungen oder Auftragsscheine sind dabei nicht eingeschlossen. Notizen auf schon vorher bedruckten Blättern hingegen sind sammlungswürdig, kurz: Gedrucktes und Handgeschriebenes dürfen in keinem direkten Zusammenhang stehen. Weiters darf der Verfasser der Notiz nicht bekannt sein, zumindest nicht wissentlich. Und schließlich ist das Durchsuchen von Schreibtischen, Papierkörben oder Altpapiertonnen nicht erlaubt, denn die Zettel müssen gefunden werden, was auch den Überraschungsmoment beim Finden impliziert: Kairos, Gott der günstigen Stunde, lenkt die Schritte. Diese Regeln sichern das Überleben des Sammlers, denn sie halten die Sammlung davon ab, den Sammler zu verschlingen.

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Die Objekte innerhalb der Kategorie der Einkaufslisten lassen sich mit folgendem taxonomischen Modell beschreiben: Grundsätzlich gibt es Listen, die anderen mitgegeben werden, und solche, die man für sich selbst notiert. Erstere erkennt man an genauen Bezeichnungen, Mengen- und Gewichtsangaben, bio oder nicht bio. Es soll, so hat man mir berichtet, sogar Frauen geben, die für ihre Männer Einkaufslisten erstellen, die in ihrer Reihenfolge der Anordnung des Sortiments im Supermarkt folgen.

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Manche Listen verraten das ihnen zugrunde liegende Organisationsprinzip: Wildpreiselbeeren / Frühstücksspeck / Brösel / rote Paprika / gelbe Paprika / orange Paprika / Zitrone und Hühnerbrüste sieht man das Rezept deutlich an; Brot / Zahnpasta / Zwiebel / Bananen steht der Alltag ins Gesicht geschrieben, in Sekt / Baguette / Aufstrich / Grissini glitzert ein Fest.

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An den gelisteten Lebensmitteln und sonstigen Artikeln lassen sich jedenfalls statistisch nur wenige Häufungen ausmachen; allenfalls »Taschentücher« wurde ausschließlich auf Listen von Oktober, November und Dezember gefunden – ebenso wie »Mozzarella«. Welche geheimnisvollen Kräfte verbinden Schnupfen mit italienischem Käse? Tomaten hingegen häufen sich etwa dort, wo man sie vermutet: im Oktober. Auf 73% aller Einkaufslisten werden sie als »Tomaten« bezeichnet, lediglich 27% schreiben »Paradeiser« – und kein einziges Mal kommt die Bezeichnung »Erdäpfel« vor. Schreiben Leute, die Kartoffeln »Erdäpfel« nennen, weniger Einkaufslisten?

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Zeichnet die Statistik hier rätselhafte Muster in die weiten Ebenen des Alltags, ragen dort einzelne Zettel als unerklärliche Felsen aus der Landschaft: Was ist »Fux-Speise«, was »Bohumil«, was »Eintagsbrot«, »Dunkelbrot« und »Mops-Schnittbrot«, was ist »Hohe«?

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Einkaufslisten mit ihren fröhlichen Puddings, Backerbsen und Biokarotten haben dunkle Brüder – Krankheit im Takt säuberlicher Listen: Apicilina 2 Cuti cop / Gesacilina 2× / Voltaren 2 / Parcemed 2, Schmerzen verknappt zu den Schlägen einer zerhackten Kürzelsprache: Bd. Knie op + seitl. im Stehen + Pad. tang LWS op + seitl. im Stehen, Angst in nervös notierten Blutdruckwerten 9:28 167/86 / 9:33 166/93-73 / 9:46 156/86-77 / 10:45 136/75-65. Die Zettel jener Kategorie wurden ausnahmslos im Zeitraum von Oktober bis Jänner gefunden: Der Einkaufszettel dunkle Brüder betreten zur dunklen Jahreszeit die Bühne.

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15 dag Extrawurst
15 dag Extrawurst

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15 dag Extrawurst
Sigrid Eyb-Green

1. Auflage 2013
256 Seiten, Hardcover (Halbleinenband in orange oder olive), zahlreiche Abbildungen
Format 240 × 165 mm
ISBN 978-39502537-9-5
Preis: EUR 33,–

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Die Autorin

Sigrid Eyb-Green, geboren 1974 in Wien, wo sie mit ihrem amerikanischen Mann und zwei Kindern lebt.

Studium der Konservierung-Restaurierung an der Akademie der bildenden Künste, danach Arbeit als freie Restauratorin in New York, später in Wien. Seit 2002 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Konservierung-Restaurierung, wo sie 2009 über einen Freskenzyklus von Leopold Kupelwieser promoviert. 2012 erscheint ihr erstes Kinderbuch (u. a. Romulus-Candea-Preis der designaustria, Dixi Kinderliteratur-Preis).

http://sigrid-eyb-green.com

Sigrid Eyb-Green

Sigrid Eyb-Green
Foto: Petra Rainer

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Pressestimmen

Orangen /
Zitronen /
Äpfel /
Suppenürze /
Mehl uni /
Inferno-Spray

Anonymer Einkaufszettel aus der Sammlung der Wiener Autorin und Restauratorin Sigrid Eyb-Green, deren Kollektion gut 700 zufällig gefundene handschriftliche Notizen (neben Einkaufszetteln vor allem To-do-Listen, Kritzeleien und Drohbriefe) umfasst. Gut 200 davon finden sich nun, wunderschön faksimiliert und mit kundigen Einordnungen der Sammlerin versehen, in dem Band »15 dag Extrawurst«. Zettels Traum!

Wolfgang Paterno, profil (Nr. 27, 1. Juli 2013)

Liebe, Parkplatz, »Mindestsich.«

Die Wirklichkeit liegt auf der Straße: »15 dag Extrawurst« – über die Zettelsammlung der Sigrid Eyb-Green.

Eine ganze Existenz auf einem kleinen, fleckigen Zettel. Miete, elektrischer Strom und Wasser sind da mit den je monatlich darauf entfallenden Kosten aufgezeichnet, darunter ein Strich und darunter wiederum die Zeile »AMS € 823,-«. (…) Artikel lesen…

Wolfgang Freitag, Die Presse/Spectrum (3. August 2013)

 
 

Aufgelesen

Über 700 handschriftliche Notizen, aufgesammelt auf Straßen und öffentlichen Plätzen, erzählen von Familien- und Singleeinkäufen, Parkplatzärger, Liebeskummer, Schulaufgaben, von Höflichem und Unverschämtem und den großen Fragen des Lebens. Die Autorin sammelt verlorene und weggeworfene Zettel, überall wo sie und fleißige Mit-Sammlerinnen eben unterwegs sind. 250 davon finden sich nun als »Best of« in diesem bezaubernden und wunderschön gearbeiteten Buch der Edition Krill. Aufgelockert mit poetischen Texten über das Phänomen »Sammeln und Finden«. Am 22. 10. führt die Autorin im Wien Museum Karlsplatz durch die gleichnamige Ausstellung mit Originalfundstücken.

Maxima (Nr. 9, September 2013)

 

ORIGINELL: Zettelwirtschaft

Seit Arno Schmidt den Zettelkasten literaturfähig gemacht hat, hat dieser unzählige Abwandlungen erfahren. Die Restauratorin und Kinderbuchautorin Sigrid Eyb-Green hat mit Hilfe von Freunden und Familie 700 handgeschriebene Zettel, von der Parkplatzdieb-Beschimpfung über Kochrezepte, Pseudo-Kassiber, Einkaufslisten bis zur Schulaufgabe gesammelt. Die Auswahl im Bildband »15 dag Extrawurst« der Edition Krill ist in Kapiteln angeordnet und kommentiert. Die Zusammenstellung muss als ausgesprochen geglückt bezeichnet werden, die Kommentare sind anregend, aber eigentlich nicht zwingend notwendig.

Buchkultur (Heft 150, Jubiläumsausgabe Oktober/November 2013)

Book look: Sigrid Eyb-Green

«15 dag Extrawurst» is a common request at domestic supermarkets’ deli service departments since this amount of sliced sausage is a popular snack. Austrians love bread rolls with some butter, Extrawurst sausage and maybe a cucumber or a slice of cheese. (…) Artikel lesen…

Thomas Hochwarter, austrianculturechannel (31. August 2013)

Alltag von der Straße

Ein Notizzettel wird geschrieben, erfüllt seinen Zweck und landet danach im Mülleimer oder auf der Straße. Im Allgemeinen war's das für den Zettel; eine Ausstellung stellt nun gesammeltes Zettelwerk im Wien Museum aus. (…) Artikel lesen…

Richard Schwarz, the gap (16. Oktober 2013)

Z wie Zettel

Erinnern Sie sich noch, wie Sie als Kind Ihren Wunschzettel für das Christkind geschrieben haben? Leider tun wir das als Erwachsene ja nicht mehr, aber dafür schreiben wir jede Menge anderer Zettel! Notizzettel, Einkaufslisten, Erinnerungen, Kurznachrichten, Rezepte, Ideenskizzen, Minibrieferln – die meisten von ihnen werfen wir weg, wenn sie sich »erledigt« haben. SIGRID EYB-GREEN und die Edition KRILL haben aus 200 solcher weggeworfenen Zetteln das poetischste Buch des Jahres 2013 gemacht: »15 dag Extrawurst« enthält nicht nur die Zettel, sondern auch blitzgescheite philosophische Überlegungen zum Thema Sammeln und Ansammeln, Alltag und Erinnerung. Den titelgebenden Zettel fand sie übrigens in einem Laubhaufen vor dem Eingang zu Schönbrunn – hier ist mein Lieblingszettel:

Barbara Rett, Mit besten Empfehlungen (8. Dezember 2013)

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Im Buchhandel

Erhältlich ist das Buch direkt bei Edition Krill sowie im gut sortierten Buchhandel. Buchhändler wenden sich bitte direkt an uns: Kontakt

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